Donnerstag, 24. Februar 2011

Wach endlich auf!

Das ist, als hätte gestern jemand gewaltig an mir gerüttelt. "In welcher Welt lebst Du eigentlich? Mensch, werd’ endlich wach!"

Mir ist, als hätte sich in den letzten Stunden mein Lebensgefühl völlig geändert. Die Welt des schönen Scheins ist zusammengebrochen. 

Meine Puppenwelt, zusammengesetzt aus Insiderdramen und Soap-Operas, fand in einer Blase statt. Eine Blase vermeintlicher Sicherheit, im Glauben daran, oder besser in der vagen Hoffnung, dass doch alles immer so weitergeht wie bisher. In einer Blase, in der ich am liebsten gar keine Nachrichten mehr gehört und mich auch sonst nicht informiert habe. 

Ich habe mich um nichts gekümmert, was darauf hindeuten könnte, dass es einmal nicht mehr so weitergeht wie bisher. Auch wenn es einen Teil in mir gab, der sehr genau wusste, dass der Tag X kommen wird: Ich hatte immer noch die Hoffnung, dass vielleicht doch noch alles gut oder glimpflich ausgeht. 

Auch waren Denkmuster am Werk, die diese Sache, das Bewusstsein eines bevorstehenden Zusammenbruchs, in eine ferne Zukunft schieben. Alles fand wie hinter einer Wand statt, die mich davor schützte, den Konsequenzen meines Wissens ins Auge zu sehen und entsprechend umzusetzen. 

Dieses Bewusstsein für eine Scheinwelt, in der ich sicher und geborgen bin und in der für mich gesorgt wird, ist mit einem mal zusammengebrochen: Niemand wird mich retten! Ich bin verantwortlich für mich. Auf niemanden ist Verlass, nur auf mich selbst. Ich muss für alles sorgen, auch dafür, was ich tu, wenn das System, in dem ich derzeit lebe, zusammenbricht. 

Man muss sich informieren. Nicht nur in den öffentlich-rechtlichen Medien. Zumindest sollte man wissen, wie die öffentlich-rechtlichen Nachrichten und ihre Zusammensetzung einzuschätzen sind. Im Internet gibt es einige sehr engagierte Kräfte, die sich um Aufklärung bemühen. Die sich darum kümmern, dass einem die derzeitige politische und vor allem wirtschaftliche Situation vor Augen geführt wird, darunter z.B. auch die Bedeutung all der Aufschwungsnachrichten. Ich gebe zu, obwohl ich wusste, dass das mit dem Aufschwung, so wie es dargestellt wird, nicht stimmen kann, habe ich gehofft, dass es doch irgendwie stimmt und dass alles nicht so schlimm ist.

Man muss Bescheid wissen. Man kann nicht davon ausgehen, dass alles immer so weitergeht wie bisher. Das Gefühl, das ich am Nachmittag des 11. September 2001 hatte, ein Gefühl in dem die Welt, so wie ich sie kenne aus den Angeln gehoben worden ist, das unheimliche Gefühl, dass es vollkommen ungewiss ist, wie es nun weitergeht und vor allem die totale Abhängigkeit von der bestehenden, städtischen Infrastruktur, ist nun wieder vollkommen präsent. 

Damals war ich vollkommen unfähig, eine Situation, in der unsere Welt aus den Angeln gehoben worden ist, überhaupt irgendwie weiterzudenken. Das war wie in einem Alptraum: Man steht vor dem Lauf einer Waffe, die jederzeit abgedrückt werden kann. Und dann wird man wach. Oder es wird abgedrückt, alles wird schwarz und man wird trotzdem wieder wach. 

Nun finde ich Möglichkeiten der Vorsorge, um die ich mich so gut wie möglich kümmern werde. Keine angenehme Aufgabe. Aber notwendig. Der Schutzzaun aus vagen Hoffnungen „Ach, jemand wird sich schon um mich kümmern“ ist eingerissen. 

Niemand außer mir ist für mich zuständig. Niemand wird sich darum kümmern. Niemand wird Vorsorge treffen. Niemand wird sich auch nur einen Deut’ darum scheren, was mit mir ist oder nicht ist. 

Ich muss diese Gefühle der Schutzlosigkeit und Abhängigkeit ernst nehmen und für Abhilfe sorgen.

Es ist ein Teil meiner Realiltät, den ich bislang nicht realisieren konnnte und immer wieder vollkommen verdrängt habe. Ich wollte davon nichts wissen, und was ich wusste, das konnte ich nicht weiterdenken, geschweige denn in eine Tat, in Vorsorge umsetzen, in den Erwerb von Kenntnissen und Gütern, die mich unabhängiger machen. 

Ich habe an meiner vermeintlichen Sicherheit festgehalten, obwohl ich mich ständig unsicher fühlte. Ich habe Teile meines eigenen Wissens verdrängt – unbewusst oder nur halbbewusst. Und ich bin zeitweise in Fatalismus verfallen: Was kommt, das kommt, da wird sich dann schon ein Weg finden. Zufällig. Oder wenn das passiert, falle ich tot um, dann ist alles vorbei. Da brauche ich keine Vorsorge mehr zu treffen. Nun geht es darum, das bislang "Undenkbare" zu denken.

Dabei geht es auch um das ganz "normale" Leben - nicht nur um den Ausnahmefall. 

Mein Leben unter Soap-Operas war mir schon aufgefallen. Auch, dass ich überhaupt keine Nachrichten mehr hören wollte, nichts mehr von dieser Welt um mich herum erfahren wollte. Immer Leben im „Das wird schon irgendwie“ und ansonsten wechseln zwischen Bohlen, Schwiegertochter gesucht und Lena Liebe meines Lebens und darauf warten, dass der Traumprinz kommt, mich zu retten. 

Etwas ist mit mir geschehen, dass das so nicht mehr funktioniert. Ich weiß nun, dass ich ganz alleine zuständig bin, mich zu kümmern, zu informieren, Vorsorge zu treffen, für mich zu sorgen und zu mir zu stehen.