Mittwoch, 30. März 2011

Menschen in einer verunsicherten Welt

Ich denke an Menschen im Umkreis von Fukushima.
Ich denke an Bilder der Zerstörung, in der sie leben.
Ich denke an ihren Mut, ihre Kraft, ihr Durchhaltevermögen
und an ihren Willen zu überleben.

Ich denke an jene alte Frau, die von sich sagte:
„Ich werde nirgendwohin gehen.
Ich habe den zweiten Weltkrieg überlebt,
und ich habe mir fest vorgenommen auch
dieses hier zu überstehen.“

Ich denke an Menschen in Fukushima,
im Umkeis der strahlenden Brennstäbe,
die den Boden unbewohnbar,
das Wasser ungenießbar machen.

Ich denke an Menschen in Japan.
An all jene, die das Erdbeben überlebt haben
und nun in den Trümmern ausharren.

Ich denke an Menschen in Japan,
deren Zukunft ungewiss ist.

Ich denke an ihr Heimweh,
nach einer verlorenen Welt.
Und an jene, die lieber in ihre Häuser zurückkehren,
als in Turnhallen abzuwarten.

Ich denke an Menschen,
die tief in einer verlorenen Heimat wurzeln
und an Kinder, die weiterspielen.

Ich denke an Menschen in Japan,
deren Schicksal so aufgerissen, erschüttert
und unabsehbar offen ist.

Ich wage zu hoffen,
dass sich in und mit Menschen
Wege auftun.

Und ich denke an jene,
die bedingungslos helfen.

Ich denke an Menschen im Umkreis von Fukushima,
und ich denke an Menschen in
einer erschütterten und verunsicherten Welt.

Dienstag, 29. März 2011

Minigeschichten im Clavichord - Die Geschichte vom Puppenkasper

Der Puppenkasper hüpft herum,
pfeifft sein Lied, gar laut und garstig.
Er hüpft herum, dass sich die Balken biegen,
heftig und eckig tut er sich in den Hüften wiegen,
hölzern seine Bewegungen,
hölzern sein Reigen.

























So zieht er durch die Gassen und
kann den Lärm nicht lassen.
Geht allen auf den Nerv
plärrt, sägt und pfeifft,
so dass alle die Fenster schließen und
den Narren ziehen lassen.

Bis eines Tages,
völlig unvermittelt,
etwas anders wird.

Man kann es nicht sagen;
keiner kennt den Grund.
Der Grund ist völlig unbenannt.

Der Puppenkasper,
der wird leiser,
der zieht sich zurück
in einen dunklen Keller.

Dort bleibt er für Wochen,
ohne Licht und ohne Lärm.
Er schweigt und läßt den Kopf ruhig hängen.
Er wartet und denkt und erfährt,
was er nicht gemacht.

Er sitzt da und lacht für sich allein,
zieht niemanden in seinen Lärm hinein.

Er denkt nach, im Dunkeln,
und erfährt die ganz Anderen,
die in ihm schlummern.

Er erfährt von Gefühlen,
von denen er nicht wusste,
dass er sie hat und wird ganz
und still und hört zu.

Der Puppenkasper kommt von selber
aus der Dunkelheit heraus,
zieht wieder auf die Straßen
und spürt ein anderes Lied.

Ein Lied voller Zärtlichkeit und leiser Töne.

Er erinnert sich an die Puppenprinzessin.
Doch bleibt er für sich und spielt sein Lied.

Ein Lied, von dem ihm niemand zuvor erzählt hat,
ein Lied, das nie zuvor in ihm erklang.

Er spielt sein Lied ganz sanft und leise.
Eine vertraute, so ganz natürliche Weise.

Er denkt an die verstorbene Mutter.
und spielt weiter, so ganz fein und weise.

Aus dem Wald, da kommen die Tiere,
wispern und flüstern,
sie hören ihm zu und bewundern
den verzauberten Klang.

Der laut lärmende Puppenkaspar ward nicht mehr;
er zieht zurück ins Dorf
und spielt sein neues Lied.

Von überall her kommen die Kinder herbeigelaufen
und tanzen zu seinen Klängen.

Sogar die Prinzessin ist neugierig geworden,
verkleidet sich als Gassenkind und kommt herbei,
lauscht und tanzt, schließt die Augen und vertraut.

Als sie die Augen öffnet,
sieht sie verwandelt einem Puppenprinzen in die Augen
und sieht ihn zum ersten Mal.

Sonntag, 27. März 2011

Atomkraft – Nein Danke!

Großdemo(nstration) in München. Gestern. Bei strömendem Regen.

Viele Teilnehmer waren von außerhalb, mit dem Zug in München eingetroffen. Transparente. Fahnen. Fähnchen. Aufkleber. Brust- und Rückenverkleidungen. Kleidung in Gelb und Rot. Fahnen in Grün. Parolen, sehr viele Parolen.

Demonstranten um die 30, die aussahen, wie Demonstranten vor dreissig Jahren. Damals, als die grüne Raupe schlüpfte. Trillerpfeifen.

Und es wurde demonstriert. Kinder hatten mit gelben, schwarzen und roten Wachsmalkreiden Bilder gemalt und trugen sie nun vor sich her: Die lachende Sonne und das Zeichen für radioaktive Strahlung.

Bei dem Regen waren diese Bilder und auch so manch anderes, selbstgefertigtes Pappschild schnell aufgeweicht. Farben liefen wie zerlaufene Schminke herunter.

Man formierte sich am Hauptbahnhof, lief durch die Innenstadt, bis zum Odeonsplatz, um dort bei der Kundgebung anwesend zu sein. Man lief durch die Fußgängerzone, zwischen frühlingshaft dekorierten Schaufenstern hindurch.

Ich hatte mich mit einer Künstlerin verabredet. Wir hatten uns vorgenommen, bei der Demonstration präsent zu sein. Was eine Demonstration ist, das hatte ich bislang nur im Fernsehen oder von weitem gesehen.

Um uns herum wurde gepfiffen, gebrüllt, gerasselt, getrommelt und die Vuvuzelas geblasen. Sehr laut.



Fahnen wehten. Transparente flatterten. Und je näher wir der eigentlichen "Kundgebung" kamen, um so heftiger wurde der Regen. Der Himmel war wolkenbruchsgrau und genau dieses Grau ist wolkenbruchsartig heruntergekommen.

Der Odeonsplatz war mit Demonstranten vollgelaufen. Von allen Seiten, strömten Menschen ein und der Platz hatte sich von vorne nach hinten aufgefüllt. Polizisten sperrten die seitlichen Zugänge ab. Es waren Lautsprecheranlagen an Kränen abgehängt worden und es war eine Frauenstimme zu hören:

Sie sprach von "unserer aller" Gefühle, von Wut, von Ohnmacht, Trauer und dergleichen mehr. Von "unseren Gefühlen" gegenüber der Situation, gegenüber den Bösen, den Machthabern, den Entscheidern. Sie sprach von jenen Gefühlen, die uns auf den Platz gebracht hätten und sie forderte uns auf, "diese Gefühle zuzulassen", diesen Gefühlen "nachzuspüren", sie "wirken zu lassen".

Dann ging es weiter: Parteipolitische Redner, Religionsvertreter, die ihre Sätze so formuliert hatten, als würden auch sie für alle sprechen. Wir fordern. Wir wollen. Wir verlangen. Sprecher parolieren ins Mikrofon, ein Kind schreit auch etwas rein und immer wieder: Massenapplaus und das Wort: Ab - Schall - Ten!

Ich stand mit A. ziemlich weit hinten. Um uns herum die Leute waren schon stiller. Hier hat niemand skandiert. Die Stimmung war anders. Man stand für sich.



Das, was hier war, war noch nicht so klar. Junge Mädchen fotografierten sich gegenseitig. Ein Familienvater rauchte eine Zigarette nach der anderen. Er schob einen Kinderwagen. Seine Frau hatte ein kleines Mädchen an der Hand. Das Mädchen fragte immerzu, was denn eigentlich los sei.

Es hat eine Schweigeminute gegeben und die hatte es in sich. Es wurden Gefühle präsent, Gefühle über etwas, das geschieht und das nicht mehr zu richten ist. Gefühle gegenüber einer Situation, die nicht ohne Wandlung zu lösen ist. Das Schweigen war laut und in dem Schweigen waren sich alle Anwesenden nahe. Unterschiedslos.

Bei den Kundgebenden waren keine unabhängigen, irgendwie normlen, menschlichen Stimmen dabei. Mit den lauten Reden der Redner wurde im Grunde niemand angesprochen. Die, die lärmten, wähnten sich im Recht und auf der richtigen Seite und sie lärmten abstrakte Größen an und malten Teufel an die Wand.

In der Menge sind aber auch andere gestanden. Solche, die für sich selber da standen, für Überlegungen, die noch nicht so ganz klar sind. Solche, die für ihre Unsicherheit, Betroffenheit und Angst standen, für Fragen, die sie noch nicht stellen und Antworten, die sie noch nicht geben können. Solche, die einfach da standen und geschwiegen haben.

Ich war auch da und ich war traurig. Meine Angst und mein Unbehagen gegenüber den Ereignissen im Atomkraftwerk in Japan kennen keine Grenzen. Eine Millisekunde der Vergegenwärtigung, reicht vollkommen aus.

Verstrahlung kennt keine Grenzen. Verstrahlung kennt keinen Einhalt. Verstrahlung ist nicht auszuschließen und nicht rückgängig zu machen. Es gibt keine "Wiedergutmachung". Der Regen fällt.

Ich erinnerte mich an eine Frau, die mir erzählt hat, dass sie nicht mehr mit nackten Füßen über eine Wiese laufen kann. Sie bekommt Brandblasen an den Füßen.

Nun stehen wir da und wissen nicht, welche Botschaft uns der Regen bringt.

Donnerstag, 24. März 2011

Minigeschichte aus dem Clavichord - Der Tag fängt an und geht vorbei

Es ist Morgen.
Der Tag fängt an.
Die Sonne ist aufgegangen,
wie ein unbeschriebenes Blatt.

Niemand weiß, was er bringen wird.
Schritt für Schritt, hinein in den Tag.
Entscheidungen werden getroffen.
Puzzleteile fügen sich zusammen.
Ein Bild entsteht.

Der Höhepunkt ist überschritten.
Der Tag neigt sich zu seiner anderen Seite,
dem Abend zu.

Wir gehen weiter.
Es dämmert.
Wir erwachen hinein,
in den Tag der Nacht,
den Traum,
der uns dem nächsten Tag näher bringt.

So häufen sich die Tage,
werden zu Wochen, Monaten, Jahren.
Und wir sind geborgen in den Abläufen.
Wir sind nicht allein.

Wir stehen in der Ordnung der Tage.
Sie wiederholen sich auf verschiedenen Ebenen.

Wir leben auf einer Spirale,
drehen uns dem Himmel entgegen,
mit geöffneten Herzen.

Es wird Abend,
ein Tag vergeht,
der begann,
wie ein unbeschriebenes Blatt.

Donnerstag, 10. März 2011

Minigeschichte für mein Clavichord - Ein Stern fällt auf die Erde

Es zeigt sich ein besonders hell blinkender Stern
mitten im Netz der Sterne,
die im dunklen Nachthimmel stehen.

Vorwitzig blinkert er.
Übermütig morst er geheime Zeichen.
Er erscheint besonders groß, hell und strahlend.

Er fällt auf. Man sieht ihn,
sein fröhliches, unbekümmertes Blinkerspiel,
so ganz da ganz oben.

Bis er sich plötzlich aus dem Gefüge löst und
schillernd abstürzt, der Erde entgegen.
Fällt und fällt und lange fällt, immerzu den langen Weg fällt.
Vorbei das lustige Spiel in Sicherheit.
Er fällt und nichts hält ihn auf.

Während er fällt, wird er immer irdischer.
Nimmt zu an Gewicht, wird Ding,
wird Gegenstand. Das Blinken verlischt.
Schwerkraft fängt ihn ein,
er wird zum Stein.

Nun besteht er allein unter Steinen,
sieht wie Steine rollen und
blickt in der Nacht zum Himmel,
zu seinen himmlischen Brüdern,
nach denen er sich unendlich sehnt.

Blickt den weiten Weg nach oben
und wünschte sich, man könnte ihn sehen.

Am Himmel blizt ein kleiner Stern ihm zu,
morst geheime Zeichen.

Der Stern versteht und
es ist, als hätte der ferne Bruder
mit dem Auge gezwinkert und
ihm einen Gruß geschickt.

Mittwoch, 9. März 2011

Minigeschichte für mein Clavichord - Mit dem Ohr an der Baumrinde

Ein kleines Mädchen steht bei einem Baum.
Steht mit den Füßen fest auf dem Boden und
schlingt seine Arme um den Stamm,
schmiegt seinen Körper daran.

Es hält sein Ohr an die Baumrinde,
drückt es ganz dicht an den Baum.

Es hört in den Baum hinein.
Hört das Schnarchen der Käfer unter der Rinde.
Hört ganz tief in das Innere hinein.

Es hört hinein in den Kern,
in den ersten von hundert Ringen,
hört in die Geschichte von fünfzig Ringen.
Hört in die letzten Jahre,
die äußeren Ringe,
bis hinein in die Gegenwart,
und dann raus,
bis hinaus in die nächste Zukunft.

Es folgt den Lebenssäften des Baumes,
die tief aus der Erde,
aus den weiten Verzweigungen der Wurzeln,
den Stamm entlang
aufsteigen,
weit hinauf,
bis in die Zweige,
in die Zweigspitzen,
bis in die fest eingewickelten,
sicher verpuppten Knospen.

Es hört hinein,
in die Blüten von morgen,
in das Kommen und
die zukünftigen Blätter.

Es hört mit den Käfern und Würmern
in der Rinde, hinein,
lauscht bis in die äußersten Spitzen
im hohen Wipfel, der sich wiegt,
um sein neues Kleid
hervorzubringen.

Das Mädchen lauscht hinaus
in den Baum und in die Welt.

Der Frühling kommt.
Es vertraut der alten Weise.

Es lauscht, der Baum ächzt,
wird ganz still und es vertraut.

Mittwoch, 2. März 2011

Frühling

Die Zeit vergeht; es wird licht.

Die Zeit vergeht; wir sehen uns nicht.

Dienstag, 1. März 2011

Minigeschichten für mein Clavichord

Ich hatte eine wunderbare Unterrichtsstunde am Clavichord. Meine Lehrerin hat mich gefragt, was ich in der Stunde machen möchte. Ich antwortete ihr, dass meine Lieblingsübung sei: „Guck mal was die Finger machen“. 

Das Notenspielen fällt mir sehr schwer. Jeder Takt ist mühevoll, aber das freie Spiel, das fällt mir leicht. Also lege ich los. Ich beginne einfach, die Finger auf die Tasten zu legen und spiele. Fast jedesmal staune ich und bin überrascht, dass so eine schöne Musik dabei herauskommt. 

In der linken Hand legte ich den Tonraum mit einer Quinte fest, in der rechten begann ich eine Melodie dazu zu spielen. Wie es mir gerade einfiel. Ich blieb immer im gleichen Tonraum, d.h. ich wechselte die Quinte zunächst nicht, bis meine Lehrerin mich dazu aufforderte, Tonraumwechsel in mein Spiel zu integrieren. 

Das tat ich – allerdings wollte ich meine Lehrerin nicht langweilen – also wechselte ich die Tonräume schneller, als mir lieb war und als ich es empfand. Sie bemerkte es und ich spielte noch einmal – blieb so lange wie ich wollte und wechselte wie ich wollte, spürte mich in Übergänge, Richtungen und in meine Wünsche hinein: 

Was möchte ich hören? Wo möchte ich hin? Was könnte das Ziel sein? 

In einem nächsten Schritt schlug sie vor, die Tonräume jeweils mit gesprochenen Worten zu benennen. Immer nur kurz: Erst habe ich gemeint, ich bringe kein Wort heraus, dabei waren die Bilder für den gespielten Tonraum schon in meinem Kopf. 

Nachthimmel. Sterne blinkern. 
Funkeln, strahlen in der Dunkelheit auf. 
Sie schauen von oben zu uns nach unten. 

Wir sehen zu ihnen auf. Geborgenheit. 

Ein altes Schaf am Himmel träumt. 

Und was ist das? (Ein unglaublich schiefer, weil ungestimmter Ton im Bass.) 

Nicht einzuordnen. Man weiß es nicht. 

Es stört. 


Bis ich das erste Wort gesagt habe, hat es eine Weile gedauert. Das sprechen war mir peinlich. Doch dann habe ich es gesagt, und es war mir als würden die weiteren Worte geboren. Es waren Geburten und ich fühlte mich in meinen Worten vollkommen unabhängig von Befindlichkeiten und vom Kreisen um Sorgen und Probleme. 

Es war durch einen angebebenen Tonraum ein Bild entstanden und aus dem Bild weitere Bilder. Sie wurden geboren und erfüllten mich ganz und gar. 

Ich sagte zu meiner Lehrerin: Ich könne aber nicht anders, als jene Bilder zu nehmen, die ich eben hätte – egal wie abwegig die seien. Sie sagte: Ja, genau das, was kommt. (Ohne Zensur.)

Und sie erzählte mir von der alten Bardenkultur spontan erzählter Geschichten. Am Tag nach dieser Stunde, fiel mir auf dem Weg zur Arbeit noch eine weitere Minigeschichte ein:

Fritzchen geht mit schlechtem Gewissen in die Schule. 
Er hat seine Hausaufgaben nicht gemacht. 
Die Lehrerin bemerkt es, 
Fritzchen hat Angst. 
Die Lehrerin schimpft nicht. 
Sie ermahnt Fritzchen, seine Hausaufgaben zu machen. 
Fritzchen ist erleichtert und verspricht, seine Hausaufgaben zu machen. 


Warum auch immer, einem so etwas einfällt? Ich weiß es nicht. 
Ich werde auf jeden Fall weitermachen und diese Einfälle sammeln.