Mittwoch, 1. Februar 2012

Daumen hoch!

Gestern abend, wieder mal auf dem Fahrrad, kam mir der Satz: 

„Er ernährt sich von jenen Gefühlen, die man ihm entgegenbringt.“ 

Aha, dachte ich mir, deswegen dieser ganze Kram mit Fazzebuk und so weiter. Deswegen, die Sammlung hübscher Mädchen und Fotos und deswegen der Stolz auf all die Interessenbekundungen an jedem Keks, den er gebacken hat, an jeder Bewegung, die er gemacht hat und auf die er im Web2.0 eine Resonanz haben möchte. 

Das finden wir aber toll und das finden wir aber toll und das finden wir aber total toll. Daumen hoch. Und guck mal, da ist auch noch ein Daumen hoch gegangen!

Lebe ich dafür, dass der Daumen hoch geht? 

Türkis im Schnee - Momentaufnahme

Im Park liegt Schnee. Kleinere und größere Schneemänner stehen da.

Der Himmel ist grau und regungslos, steht darüber, über endlos weiten, weißen Wiesenflächen gespickt mit Maulwurfshügeln.

Viele Menschen sind unterwegs. Manche wie bunte Punkte vor dem weißen Hintergrund. Viele einfach nur schwarz.

Eine Dame kommt uns in einem weißen Kurzmantel entgegen. 
Sie trägt eine Mütze aus türkisem Hasenfell, schwingt dazu im Überschwang ihrer langen Arme ein türkises Handtäschchen zu dem sie türkise Stiefel trägt 
und führt ein winziges Hündchen an der Leine, 
das ein türkises Cape mit goldenen Sternen trägt....

Da denke ich mir doch glatt: Türkise Farbe wirkt im Schnee besonders intensiv...

Nusschale

Da sitze ich in meiner Nussschale, winzig in einem winzigen Boot im Schilf. Schlingere in der Nähe des Ufers auf unruhigem Gewässer und im Versteck. 

Es wackelt in meinem Boot und auf den Wellen. Hin und her. Niemand sieht mich. Und ich hoffe immernoch auf eine Zukunft, die nun schon fast vorbei ist. 

Und ich fühle so wie Rilke im Herbst seines Gedichtes: Wer jetzt noch nicht sein Haus gebaut hat, der baut sich keines mehr... 

Berührung

Auf dem Fahrrad durch die Kälte und durch die Nacht zu fahren, Kälte zu spüren, das Glitzern von Eis und Schnee auf Asphalt in der Straßenbeleuchtung aufblitzen zu sehen, das hat gut getan. 

Die Kälte war real, der dunkle Himmel war real, Eis und Schnee waren real, der Weg und die gefährlichen Spurrillen unter meinen Fahrradreifen, der Schein von Vorder- und Rücklicht waren real. 

Der Fahrtwind, der mir das Gesicht vereiste, die Kraft, die ich einsetzte, um Heimzukommen und dieses wunderbare Gefühl, es aus eigener Kraft nach hause zu schaffen – auch das war wirklich. Berührung.

Die besondere Aufmerksamkeit, die es braucht, um sicher nach Hause zu kommen. Vorsichtig zu fahren, damit ich nicht ausrutsche, weiter zu fahren und all meine Gedanken mit mir heimzuführen und mein Gefühl: Geprägt von einer tief empfundenen Einsamkeit, das hat mich berührt. 

Der Gutmeiner

Es ist ganz schön heftig, wenn einem plötzlich auffällt, dass das eigene Verhalten nur selten mit dem zu tun hat, was man selber zu tun glaubt. 

Ein gutes Beispiel ist hier das so genannte und vor allem unaufgeforderte „es gut meinen“: 

Ohne Auftrag "Gutmeinen" ist oft ein Machtspiel, bei dem der Gutmeiner versucht, seinem Gegenüber etwas reinzudrücken und sich selber im Anschluss daran etwas besser zu fühlen, weil er den anderen die Unterlegenheit hat fühlen lassen. 

Der Gutmeiner weiss es eben, und er weiss es vor allem besser. 

Aus dem unaufgeforderten Gutmeinen zu erwachen, heißt, sich auf der Stelle zu entschuldigen und es nicht wieder zu tun. 

Das Gutmeinen ist eine Situation, wo sich der eine nach eigenem Gutdünken am anderen bereichtert.

Beschlagene Fenster im Bus

Und das war mir gestern aufgefallen, als ich die beschlagenen Fenster des Busses ansah, diese ganzen Spuren, die sich im Beschlag abzeichnen, diese Vergangenheiten, die sich als Spur in der Gegenwart abzeichnen. 

Der Abdruck von Haaren eines Kopfes, der sich während der Fahrt müde oder bequem an das Fenster angelehnt hat, der Abdruck von Kindergesichtern, die mit dem Nebel auf dem Fenster ihre Spiele gespielt haben, Nase reindrücken, Stirn abdrücken, mit der Zunge ablecken, die Lippen auf die Scheibe pressen, all das hinterlässt Spuren. 

Mit der Vergangenheit in meinem Hirn werde ich niemals fertig werden. Die ist mittlerweile ein prallgefüllter Sack. An den traurigen Geschichten hänge ich besonders fest. Untrennbar hänge ich an denen dran und kann immer noch darüber heulen. Jeden Tag neu. 

Es ist nicht so leicht, immer wieder zu vergegenwärtigen, das nur man selbst für sein Erleben zuständig ist und niemand anderes. Der kurze Weg wird immer wieder erhofft: 

Andere sollen für Erlösung sorgen.

Wunderland II

Während wir so daher reden, macht sich ihr 10 jähriger Sohn, über die Elektrik her, optimiert die Schichtung des Kaminholzes und studiert die Gebrauchsanweisung für den Spielecomputer seiner kleinen Schwester und will anderen die Welt erklären, so wie er sie begriffen hat. 

"Mama, jetzt hör doch mal zu..." und er befasst sich mit ihrem neuen Handy, will ihr all die Features nahelegen und die Handhabung dieses Gerätes. 

Analytisch. Logisch. Im Ernst und ohne Spiel. Er hat überhaupt nicht diese Schutzschicht wie unsereins, die es ermöglicht in irgendwelchen Träumen und Phantasien seine Zeit zu vergeuden, anstatt einen tatsächlichen und bewussten Einfluss auf jene Welt zu haben, in der wir tatsächlich leben.

Der hat das gemacht und der hat das gemacht und das war so und so oder eher doch so und aus der jetzigen Perspektive sieht es so und so aus. 

Wie zwei Alträucher, sitzen wir da, reden ohne Punkt und Komma, während der Junge die Waschmaschine repariert, die Steckdose versetzt und dies demonstrativ auf dem Wohnzimmerteppich und genau in seiner Mitte vollführt, während wir nichts anderes im Sinn haben, als in irgendwelchen alten Geschichten zu schwelgen, zu fachsimpeln, zu mutmaßen, lauter sinnloses Zeug, so lange wir nur nicht gegenwärtig werden müssen, aufräumen, einen Blick auf die Bedürfnisse der Kinder, des Hauses, des Hundes, des Gartens oder der Gegenwart zu richten. 

Was können wir tun, um unsere Welt zu verbessern? 
Was können wir tun, um die Funktionen unserer Welt zu verstehen? 

Nein, ich glaube, wir leben in weitgehend in unseren Träumen und Geschichten, in unseren Leidensgeschichten und in unseren Erinnerungen, wir hängen irgendwo in einem längst luftleer gewordenen Raum herum und wollen dabei absolut nicht gestört werden. 

Der Raum, in dem wir uns bewegen, der bietet jene Sicherheit, das er schon vorbei und längst erkaltet ist. Das ist unsere Sicherheit. Das ist die Sphäre in der wir uns gefahrlos bewegen können. 

Wir, meine Freundin und ich, sind in solchen Momenten nicht gegenwärtig. Wir sind nicht präsent. Wir hängen in unseren Geschichten. In unseren Weltkonstruktionen, die unsere Prägung wiederkäuen. Wieder und wieder. 

Wir schaffen es gar nicht, uns mit Gegenwart zu beschäftigen, geschweige denn, so etwas wie eine Zukunft zu erschaffen. Wir leben nicht im Augenblick. Nicht in der Gegenwart. Wir brauchen immer eine Menge Fluchttüren in die Erinnerung und auch in die Mutmaßung darüber, wie es denn gehen könnte oder besser sein könnte oder wie es denn vielleicht richtig ist. 

Wir reden auch gerne über andere oder über das, was wir von uns selber denken oder zu wissen glauben – aber auch das findet im Traum statt. 

Der Junge versetzt in der Zeit die Steckdose, damit man sich nicht so weit rüberbeugen muss, wenn man sie benutzt. Der Junge hat den Stecker aufgeschraubt, holt einzelne, bunte Kabel aus den inneren Plastikrinnen des Steckers, sieht sie sich an, biegt sie raus und wieder zurück, verlängert das Kabel oder verkürzt es, der Hund will pinkeln und die Tochter nicht mit ihm raus, alle wollen uns und wir wollen nicht raus aus unserer Gespensterwelt, einer Welt aus längst vorbei, irrelevant, nicht gegenwärtig, einer Welt aus Träumen und Erinnerungen an vergangene Liebschaften. 

Es hätte so sein können oder doch auch so und hätte er es so verstanden, dann wäre es mir so gegangen, und damals habe ich dieses oder jenes nicht so oder doch so verstanden. Alles so irrelevant. 

Wir rauchen, wir trinken Tee, wir sinnieren, tauchen ab, vergessen die Welt. Wir wissen nicht, was wir da tun, in dem wir glauben, wir wüssten, was wir da tun und in dem wir glauben, wir hätten alles im Griff. 

Wir leben immer wieder neu in der Vergangenheit, in der Erinnerung, wir driften ab und weg und merken es nicht und der Junge stört. 

Für ihn gibt es nur den Ernst der Gegenwart und ihrer Funktionen. Von Funktionen haben wir keine Ahnung. Das war in der Schule. 

Wir haben es nicht gelernt, uns für jene Welt zu interessieren, in der wir tatsächlich leben. Wir reden und pflegen den Nachhang, die Nachwirkungen einer Welt, die wir auch damals schon nicht verstanden haben. Weil wir damals schon genauso wenig gegenwärtig waren wie jetzt. 

Für Kinder gibt es erst mal nur die Gegenwart, bis auch sie dann anfangen, Vergangenheit anzuhäufen. 

Wunderland-Schallplatte

Mit seiner Mutter rede ich immer über irgendwelche Leute, die wir gemeinsam gekannt haben. Wir lieben es, über deren Eigenschaften zu sprechen.

Wir tauschen Erinnerungen aus. Erinnerungen über Lebensabschnitte, die wir gemeinsam erlebt haben. Wir kauen zum 1000sten oder 100000mal durch, was der eine oder andere gemacht hat, wie wir das erlebt haben und so weiter. 

Das ist, als würden wir es immer noch genau so lieben, eine Wunderland-Schallplatte immer wieder neu erzählt zu bekommen, den gleichen Film aus verschiedenen Lebensaltern heraus immer wieder neu zu sehen und davon zu erzählen. 

Weißt du, sage ich zu ihr, Winnetou war schon immer mein Held und der ist mit mir mitgewachsen und ich liebe es heute, so wie früher, über das zu sprechen, was mir an Winnetou so gut gefällt:

Seine Erhabenheit, Bescheidenheit, seine edle Größe und das man ihm zutraut, wahrhaftig zu lieben und sich für eine Liebe zu entscheiden. Die Liebe zur Wahrheit und der Umgang mit Natur und natürlich der Umgang mit Frauen....

Ja, und Winnetou konnte reiten, so wie ein Rockstar singen kann und wie in der dazugehörigen Musik, ging für mich die Sonne auf, wenn Winnetou auf seinem weißen Pferd auf dem Gipfel gen Himmel erschien, um seinen Freund zu treffen.