Sonntag, 27. März 2011

Atomkraft – Nein Danke!

Großdemo(nstration) in München. Gestern. Bei strömendem Regen.

Viele Teilnehmer waren von außerhalb, mit dem Zug in München eingetroffen. Transparente. Fahnen. Fähnchen. Aufkleber. Brust- und Rückenverkleidungen. Kleidung in Gelb und Rot. Fahnen in Grün. Parolen, sehr viele Parolen.

Demonstranten um die 30, die aussahen, wie Demonstranten vor dreissig Jahren. Damals, als die grüne Raupe schlüpfte. Trillerpfeifen.

Und es wurde demonstriert. Kinder hatten mit gelben, schwarzen und roten Wachsmalkreiden Bilder gemalt und trugen sie nun vor sich her: Die lachende Sonne und das Zeichen für radioaktive Strahlung.

Bei dem Regen waren diese Bilder und auch so manch anderes, selbstgefertigtes Pappschild schnell aufgeweicht. Farben liefen wie zerlaufene Schminke herunter.

Man formierte sich am Hauptbahnhof, lief durch die Innenstadt, bis zum Odeonsplatz, um dort bei der Kundgebung anwesend zu sein. Man lief durch die Fußgängerzone, zwischen frühlingshaft dekorierten Schaufenstern hindurch.

Ich hatte mich mit einer Künstlerin verabredet. Wir hatten uns vorgenommen, bei der Demonstration präsent zu sein. Was eine Demonstration ist, das hatte ich bislang nur im Fernsehen oder von weitem gesehen.

Um uns herum wurde gepfiffen, gebrüllt, gerasselt, getrommelt und die Vuvuzelas geblasen. Sehr laut.



Fahnen wehten. Transparente flatterten. Und je näher wir der eigentlichen "Kundgebung" kamen, um so heftiger wurde der Regen. Der Himmel war wolkenbruchsgrau und genau dieses Grau ist wolkenbruchsartig heruntergekommen.

Der Odeonsplatz war mit Demonstranten vollgelaufen. Von allen Seiten, strömten Menschen ein und der Platz hatte sich von vorne nach hinten aufgefüllt. Polizisten sperrten die seitlichen Zugänge ab. Es waren Lautsprecheranlagen an Kränen abgehängt worden und es war eine Frauenstimme zu hören:

Sie sprach von "unserer aller" Gefühle, von Wut, von Ohnmacht, Trauer und dergleichen mehr. Von "unseren Gefühlen" gegenüber der Situation, gegenüber den Bösen, den Machthabern, den Entscheidern. Sie sprach von jenen Gefühlen, die uns auf den Platz gebracht hätten und sie forderte uns auf, "diese Gefühle zuzulassen", diesen Gefühlen "nachzuspüren", sie "wirken zu lassen".

Dann ging es weiter: Parteipolitische Redner, Religionsvertreter, die ihre Sätze so formuliert hatten, als würden auch sie für alle sprechen. Wir fordern. Wir wollen. Wir verlangen. Sprecher parolieren ins Mikrofon, ein Kind schreit auch etwas rein und immer wieder: Massenapplaus und das Wort: Ab - Schall - Ten!

Ich stand mit A. ziemlich weit hinten. Um uns herum die Leute waren schon stiller. Hier hat niemand skandiert. Die Stimmung war anders. Man stand für sich.



Das, was hier war, war noch nicht so klar. Junge Mädchen fotografierten sich gegenseitig. Ein Familienvater rauchte eine Zigarette nach der anderen. Er schob einen Kinderwagen. Seine Frau hatte ein kleines Mädchen an der Hand. Das Mädchen fragte immerzu, was denn eigentlich los sei.

Es hat eine Schweigeminute gegeben und die hatte es in sich. Es wurden Gefühle präsent, Gefühle über etwas, das geschieht und das nicht mehr zu richten ist. Gefühle gegenüber einer Situation, die nicht ohne Wandlung zu lösen ist. Das Schweigen war laut und in dem Schweigen waren sich alle Anwesenden nahe. Unterschiedslos.

Bei den Kundgebenden waren keine unabhängigen, irgendwie normlen, menschlichen Stimmen dabei. Mit den lauten Reden der Redner wurde im Grunde niemand angesprochen. Die, die lärmten, wähnten sich im Recht und auf der richtigen Seite und sie lärmten abstrakte Größen an und malten Teufel an die Wand.

In der Menge sind aber auch andere gestanden. Solche, die für sich selber da standen, für Überlegungen, die noch nicht so ganz klar sind. Solche, die für ihre Unsicherheit, Betroffenheit und Angst standen, für Fragen, die sie noch nicht stellen und Antworten, die sie noch nicht geben können. Solche, die einfach da standen und geschwiegen haben.

Ich war auch da und ich war traurig. Meine Angst und mein Unbehagen gegenüber den Ereignissen im Atomkraftwerk in Japan kennen keine Grenzen. Eine Millisekunde der Vergegenwärtigung, reicht vollkommen aus.

Verstrahlung kennt keine Grenzen. Verstrahlung kennt keinen Einhalt. Verstrahlung ist nicht auszuschließen und nicht rückgängig zu machen. Es gibt keine "Wiedergutmachung". Der Regen fällt.

Ich erinnerte mich an eine Frau, die mir erzählt hat, dass sie nicht mehr mit nackten Füßen über eine Wiese laufen kann. Sie bekommt Brandblasen an den Füßen.

Nun stehen wir da und wissen nicht, welche Botschaft uns der Regen bringt.