Samstag, 30. März 2013

Paris Erinnerungen


Der elfte dritte erinnert mich wie kein zweites Datum an Paris. Es ist der Tag, an dem Nicolas Geburtstag hat – mein Pariser Aupair-Kind.

Heute arbeite ich im Büro mit Kollegen zusammen, die ungefähr sein Alter haben. Junge Leute, die ihren Weg gehen, ihre Berufsausbildung fertig haben.

Nicolas ist nur zwei bis drei Jahre jünger. Als ich in Paris ankam, war er gerade sechs Monate alt. Als ich ihn das erste Mal auf einem Sessel sitzend in den Arm nehmen durfte, pinkelte er mir auf meinen Minirock.

Ich war mit Rollschuhen und im Minirock in Paris unterwegs gewesen. Entgegen der Legende, die jeder ausbreitete, der schon einmal in Paris gewesen war, demnach die Metro ja das Allertollste sei, fand ich die Metro überhaupt nicht toll.

Sie machte mir Angst. Besonders die ewig langen Gänge, die man entlangrennt, wenn man umsteigen möchte. Hierzulande ist umsteigen eine Sache von wenigen Minuten. In Paris dauert es viel länger.

Man rennt und rennt wie Ratten im Labyrinth die Gänge entlang. Noch eine Treppe, noch eine Biegung, noch ein Abzweig, entlang gekachelter Wände, bei großen Stationen vorbei an Blumen- oder Avocado-Verkäufern, die ihre Waren gleich aus Pappkartons heraus verkaufen, am liebsten immer gleich drei oder zehn Stück auf einmal.

Die Menschen rasen und es ist schwer jemanden, der sich in einem solchen Pulk befindet zu bremsen und sein Interesse für zweifelhafte Waren zu wecken.

Alles findet in kaltem Neonlicht statt, manche Werbeplakate wiederholen sich endlos entlang solcher Strecken und schaffen wie Fenster mit Ausblick ein neues Bewusstsein für irgendetwas, ein Boulevardtheaterstück, eine Damenunterwäsche.

Hier sind keine Fenster,Türen und Ausgänge. Nur, wenn man eine Treppe nach oben nehmen muss, bekommt man eine Ahnung, wie tief man sich gerade unter der Erde befindet.

Manchmal da lassen die eiligen Schritte - mit Blick an die Decke – ein Stoßgebet zu. Hoffentlich geht alles gut. Das meiste geht automatisch. Alle eilen automatisch. So automatisch wie elektronische Schranken, die die Passagiere vorbeilassen, sobald sie ihren laissez passer vorgezeigt haben.

Also, ich war nicht so heiß auf die Metro. Im Gegenteil. Manche Fahrt lag mir quer im Magen und die Begeisterung über metrofahrende Straßenmusiker konnte ich nicht teilen.

Wochenendausflügler aus Köln, die haben es ja nicht so weit und zum Frühstück nach Paris, das ist von Köln aus ein geradezu legendärer Ausflug, die finden das toll.

In Köln sind die Bahnen zu schmal und zu eng. Da wird kein Musiker auftreten. Außerdem würde der vom Fahrer gleich mal auf die Straße gesetzt.

Wenn dann in Paris ein Straßenmusiker ein Kölner Pärchen in der Metro antrifft, dann ist die Freude beiderseits: Ein verliebtes Musettewalzerchen mit dem Akkordeon in der Metro und schon schnurrt sie: Ach, Schatz hör Dir das an, wir sind tatsächlich in Paris. Ist das nicht wunderbar, verdreht sie die blitzenden Äuglein und lehnt ihren Kopf eine seine Schulter, während er das Portemonnaie zückt und zahlt.

Ich bin damals mit Rollschuhen gefahren, weil ich etwas sehen wollte und wann immer es die Strecke zuließ, benutzte ich einen Bus mit offener Plattform. Ich habe mir einen Spaß mit Autofahrern erlaubt.

Der Verkehr ist in Paris sehr dicht, geradezu distanzlos. Auch und gerade unter Autofahrern. Da geht es eher zu, wie beim Autoscooter. Da wird angerempelt, geschoben, gerückt, sich durchgequetscht, auf Augenkontakt und mit Dreistigkeit alles probiert und losgefahren, unvermittelt Spur gewechselt, Lücken sofern es sie gibt, auf der Stelle genutzt.

Der Tages-Autoverkehr hat nichts Braves und schon gar nichts Aufgeräumtes. Alle fahren wie wild drauflos und trotzdem sortiert es sich irgendwie. Es wird gehupt. Manchmal sausen Polizei- und Sanitätswagen zwischen all dem durch und wenn es mal brennt, dann wird es so richtig schwierig, weil an Tagen, an denen die Metro streikt, was oft genug vorkommt, da kommt kein Feuerwehrauto mehr durch den Verkehr durch.

Die Straßen sind einfach komplett dicht. Mittendrin stecke ich dann mit dem dunkelgrünen Bus fest, hänge mich über die Rehling rüber, nehme Augenkontakt zu den Fahrern auf, verteile Bonbons und winke und vergnüge mich und nehme Kontakt auf mit „meinem“ Paris.

Ich war immer auch am ganz normalen Paris interessiert. Nicht am Paris besonderer Etablissements, Bars, Jazzclubs oder Edelcafés, sondern am Paris, in dem im Morgengrauen das Wasser durch die Rinnsteine gejagt wurde, die Miniteppichrollen zum Wegweiser werden. Am Paris mit blankgescheuertem Macadam und Chlorgeruch – Pardon – Eau de Javel-Geruch. Ein Geruch, der Sauberkeit und Frische vermittelt.

Am Paris der hunderten von Nähereien im Marais, der tausend parkenden Autos, zwischen denen man sich nicht einmal mehr hindurchdrücken kann, an alltäglichen Gewohnheiten, an der Ladenschwemme, den ständigen in hellgelb und orange ausgeschnittenen Pappsternen die Soldes verkünden, 30 bis 50%, alles billig und ich machte die Erfahrung, dass in Paris selbst die Mode eher eine möglichst billige Sache ist, für jedermann und die Hautecouture eher was für große Plakate ist.

Trotzdem, wenn hinten im Mantel oder im T-Shirt der kursive Schreibschriftschriftzug Paris drinsteht, ausgesprochen ohne S, dann ist mit der Ware alles in Ordnung. Wenn man für eine gewisse Zeit in Paris lebt, dann sammelt man Beweise dafür, dass man dort gelebt hat. Schließlich träumt von Paris die ganze Welt. Wer die Stadt nicht selber kennt, der kennt ihren Ruf.

Und von den Modeplakaten herunter erfährt man dann auch, was Sache ist, was im Frühling Mode sein wird und was zum Rentrée, der Zeit im Herbst, nach den Sommerferien, die man en Famille en Provence oder en Normandie verbracht hat.

Zumindest die gutsituierten, alteingesessenen Familien, die dort ihre Landhäuser haben und sie mit der Großfamilie teilen. Das sind Ferien wie im Kino, wie im Tati-Film.

Das Leben in Paris, der ganz normale Alltag ist zumeist sehr straff organisiert und er läßt nur sehr wenig Raum für Extras – so wie Bummeln gehen, Leute treffen, besondere Aktivitäten, Gemeinsame Abendessen.

Normal ist aufstehen, zur Arbeit und zur Schule gehen, Kinder ins Auto laden, bringen und holen, Mittags auf der Straße oder im Café ein Riesiges Sandwich Jambon-Fromage, das kaum manierlich zu bewältigen ist, um sechzehn Uhr, zum Schul- und Kindergartenschluss den Goutter, den Riesenkeks und dann noch kurz Brot für das Abendessen kaufen und dann nach Hause:

Mit der Familie Abendessen und im Rahmen der Familie, im Salon bei einer Tisane, einem Kräutertee, vis à vis eines zumeist nicht genutzten Kamins, einer Kaminuhr und einem riesigen, alten Spiegel dahinter, der den Raum zu verdoppeln scheint, in der gediegenen Atmosphäre von vergoldeten Louis Quinze oder Louis Quatorze-Möbeln, bei gelblich, schummriger Beleuchtung den Abend ausklingen zu lassen und vielleicht auch mit dem Blick dann doch in ein echtes Kaminfeuer, was allerdings die Ausnahme ist.

Man geht nachts nicht raus und nicht auf die Straße, das tun nur Touristen, nicht die ganz normalen Bewohner von Paris. Deren Leben findet auf einer ganz anderen Spur und sehr stark eingebettet in den Kreis von Familie und vielleicht noch, besonders bei jungen Leuten, sehr engen Freunden statt. Ansonsten ist das ganze nach außen hin eher abgeschottet.

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