Samstag, 30. März 2013

Schmuck


Bunte, fantasievolle und vor allen Dingen inspirierte Schmuckstücke lagen in den Vitrinen und zeigten „Das Leben ist schön. Es gibt so viele Möglichkeiten.“ Dinge lagen da, der Schönheit verpflichtet und eben der Inspiration.

Sie lagen in Vitrinen, im Halbdunkel des Raumes mit dunklen Wänden und dunklen Fußböden und wurden durch besondere Spotlichter ganz besonders in Szene gesetzt und „aktiviert“. Gold glänzte, Farben waren nahezu überstrahlt und ganz schnell war vergessen, wie klein diese Objekte sind und wie sehr man sich ihnen zuwenden, sich zu ihnen hinbeugen muss, um sie überhaupt richtig sehen zu können.

Ganz schnell waren auch die vielen Menschen vergessen, die, wie wir das Gleiche taten und sich an Schaufenster und Vitrinen herandrängelten. Im Pulk vorangeschoben, sich dem Vordermann hinterherschiebend, zwei Sekunden Sichtzeit und dann das nächste Fenster.

All das war aber nicht so wichtig, wie diese kleinen, bunten, feinen, bisweilen ausgeflippten und hübschen Dinge, die es zu sehen gab. Man wusste nie, was da jetzt als Nächstes kommt. Und es hingen Ahs und Ohs und Staunen in der Luft.

Ich selber war in der an sich gedämpften, kulturbeflissenen Atmosphäre unter lauter Kultur-, Oper-, Mode-, Design-, Künstler- und Entwerferpublikum, unter Fachleuten, Spezialisten, Conaisseuren, Sammlern, professionellen Sichselbstinszenierern, potentiellen Käufern und Produzenten, die mit auffälligen „avantguardistischen“ Schnitten antraten, wie z.B. einer quasiarabischen Beutelhose in rosa-braun-dunkelrotem Golfhosenkaro mit seitlicher verlaufender Raffung des Hosenbeins von oben nach unten, die an ein Wohnzimmerwolkenstore erinnert oder gespickt mit raffinierten Details, wie z.B. eine echte Pfeife als Brosche als Anspielung auf René Magrittes Ceci n’est pas une pipe, mit Handtaschen mit selbstleuchtendem Trageriff oder einem goldenen, gelochten Halsreifen, der im Zusammenspiel mit dem Gewand, die Trägerin selbst in ein Schmuckstück oder aber in den mittelalterlichen Gemäldetypus einer Heiligen mit Heiligenschein auf Goldgrund verwandelte, besonders laut.

Ohhhh, guck mal hier D., sieh Dir das mal an, wie schön das ist, schau mal, wie das funkelt und ach, wie süß ist das, nein, dass man überhaupt auf so eine Idee kommen kann, boahhh, ey, guck Dir das an, das ist ja hammermäßig, so etwas habe ich ja noch nie gesehen und ach, dahinten, wahnsinn, das leuchtet ja bis hierher und das ist durch das Licht total ins Strahlen geraten, grün, orange, golden und gelb, und guck mal da, die unterste Schicht ist noch feiner ziseliert, ornamentiert, als die ohnehin schon feinen Stücke darüber. Ich glaub es ja nicht. Ist das toll. Nein, so etwas Schönes. Ich bin hingerissen. Und so ging es weiter.

D. hat natürlich selber Augen im Kopf und die anderen auch. Aber sie hat auch kapiert, dass ich meine Kinder-Ahhhhs und Ohhhs, so hemmungslos rausgelassen habe, wie vielleicht früher Mal im Kasperletheater.

Und unter all den ernsthaften Leuten haben wir natürlich die Clowns gemacht und uns ein bisschen daneben benommen, es raushängen lassen – zumal wir uns über diese gierigen Fotografierer geärgert haben, die die Objekte schier aus den Vitrinen rausgeknipst haben – noch bevor sie sich das wirklich angesehen haben – dieses Fotoapparat hinhalten – zoomen brrrrr – das verlängerte Raubauge machen und dann abdrücken. Wusch und weg. Whats next? Weiter gieren. Konsequenterweise hätten die Objekte danach wegsein müssen oder zumindest ein bisschen weniger.

Es wurde gezoomt und fotografiert, was das Zeug hält. D. und ich hatten unabhängig voneinander das Gefühl, dass diese Leute zum „Klauen“ und Kopieren gekommen sind. Apfel copy, Apfel x und Apfel v. Last not least.

Wir fanden das ekelhaft. Respektlos, gierig und räuberisch. Widerlicher Schlabberkram. Saugen, was das Zeug hält. Noch nicht einmal mit dem Vertrauen ins eigene Auge, die Aufnahme- und Speicherfähigkeit des eigenen Gehirns, sondern an der eigentlichen Sache vorbei lassen sie die SuperDigis mit den unzählig vielen Pixeln den Job machen und versprechen sich „mehr“ davon.

Sie haben es ganz schlau angestellt. Den Schmuck gucken wir uns dann zuhause in Ruhe am Rechner an. Der Gedanke, dass man den Geist einer Sache nicht kopieren kann, der tröstete nicht wirklich über den Anblick der saugenden Kameras und ihrer gierigen Halter hinweg.

Ich habe dieses Wort „inspiriert“ bislang selten für Kunstwerke verwendet. Klingt es doch so geschwollen, urteilend, vom Ross herunter oder intellektuell. Was schließlich soll „inspiriert“ sein oder heißen?

Ahnung von Schmuck im Speziellen habe ich nicht. War bei der Ausstellung auch gar nicht nötig. Es war noch nicht mal so, dass die Sachen das „Habenwollen“-ausgelöst haben. Es hat eigentlich vollkommen gereicht, sie zu sehen.

Inspiriert, begeistert: Es war das Ansteckende, das von ihnen ausging – die Ideen, Assoziationen und Erinnerungen, die sie anzettelten. Die Dinger waren eben nicht passiv, Aufmerksamkeit verschlingend und dann tumb machend und der Betrachter ein bisschen ärmer und ausgeraubt zurücklassend, sondern ganz im Gegenteil.

Die Dinger wirkten hochaktiv, nahmen die Aufmerksamkeit an, schickten sie einmal durch sich durch und drumherum und schwurbelten sie durch ihre mannigfaltigen (Schmuck-)Eigenschaften hindurch und schickten sie eben so aufgeladen durchs Auge des Betrachters wieder zurück.

Deswegen inspiriert und inspirierend. Via der Schmuckstücke wurde etwas initiiert und weitergereicht, das man gar nicht besitzen kann. Es ist dieser unsichtbare Stoff, der uns alle verbindet, der plötzlich spürbar wurde.

Die Freude an was auch immer: An bunten Lichtern auf dem Jahrmarkt zum Beispiel, am Blick von Tieren, die Steigerung der Gegenwärtigkeit durch Glanz, Glitzern und Farben. Die Begeisterung, wenn ein Ästchen oder Blätter, Naturformen wie Schmuck ins Zentrum der Aufmerksamkeit hereingeholt werden.

Das Spiel mit den Dimensionen: zwergenhaft klein und zugleich riesengroß. Der zauberhafte Lärm und das Geschepper, das von Jahrmarksorgeln, Ausrufern und echten, quietschenden Jahrmarktsattraktionen ausgeht – von Schmetterlingstanz bis Flohzirkus.

Eine schrill-bunte Wunderwelt, die keine Grenzen kennt und zugleich so ganz ruhige Nischen in denen ein Zweiglein mit knospenden Blättern vergoldet dann doch das edelste aller Stücke sein können – für einen Augenblick – bis hin zur nächsten Attraktion:

Fluoreszierenden Lockenwicklergeweben, die zum edelsten aller Colliers zusammengelötet sind. Und dann überdimensionierte Reifen und Ringe, farbigste Glasarbeiten, die an prächtige Schnecken erinnern und die sechsfache Welt hinterleuchteter Kaleidoskopbilder in Schmuck übersetzen.

Die gezeigten Schmuckobjekte wirkten total ansteckend. Als ich die mannigfaltigen Formen, Farben und Materialien sah, hatte ich auf der Stelle Lust, Papier zu nehmen, Formen darauf zu malen, sie zu kolorieren, auszuschneiden und bunte Blumenketten oder Fantasieobjekte daraus zu machen.

Ein Holländer trug eine Brosche in Form eines in eine holländische (?) Flagge gekleideten bzw. behosten Kängurus mit einem goldenen Reif um den Hals. Der war trotz Menschenmenge immer in meiner Nähe. Wie ein Maskottchen. Ich glaube, er war - genau wie wir - von den vielen Anregungen, die von den