Sonntag, 5. Mai 2013

Formpartikel


Am Feiertag war ich in einer Ausstellung gewesen. Der Künstler hatte über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren hinweg Zeichnungen angefertigt. Zeichnungen mit Bleistift auf Papier, an einem Holztisch, in einem Austragshäusl in den Bergen.

"Noli me tangere. Berühr mich nicht". 

Das dachte ich zumindest, als ich ihn ungefähr in der Mitte des Ausstellungsraumes stehen sah. Er trug bergtaugliche, von jeder Krume bereinigte, schwarze Allzweck- und Arbeitsschuhe, eine blaue Hose und einen blauen, vor der Brust gekreuzten Kittel, der an das Kampfgewand eines buddhistischen Mönch erinnerte. 

Zwischen ihm und seinen Gesprächspartnern tat sich trotz geringem Abstand ein Abgrund auf, eine Sphäre der Unberührbarkeit.

Er steht da, „technikfeindlich“, wie er sagt (man hatte ihn nach einer fb-Präsenz befragt) und sozialisiert nicht.

„Wer nichts zusammenbringt....“ dachte ich beim Anblick der Zeichnungen und bekam ein Gefühl auswegsloser Isolation.

Er zeichnet Partikel. Er tastet sie mit dem Bleistiftgrau. Er findet sie. Partikel in einem gemeinsamen Papierfeld, die die Fläche teilend, einander nicht verbunden sind und auch niemals waren. Formen, die Teile der Fläche einnehmen, decken, abwechselnd Fläche und Form.

Es gibt keinen Zusammenhang und nur geteilte Fläche, jeder Partikel ein Partikel noch vor Existenz und Bedeutsamkeit.

Manche sogar assoziativ, dem Leben zugewandt, aber dieses wahrscheinlich vollkommen wider jeder Künstlerintention. Ein liegender Frauenakt. Ein Ballon, dem man die Luft herausgelassen hat. Ein Bindfaden. Eine einbeinige Mikrobe.

Es geht um die Geburt auf dem Papier und um die vereinzelte, unbesehene Form, die aus dem Bleistift kommt. Abenteuer des Entdeckens, da wo sonst keiner hinschaut. 

Die Formen bleiben dem Graphit, der Mineralischen und Bakteriellen Welt möglichst nahe. Einer Welt in Grau und Grau, durch die mehr oder weniger der Naturton des Papiers hindurchschlägt – als Licht.

Meditation von Formpartikeln, die sich gemeinsam in einer Zelle aufhalten. Nicht schwimmend, nicht schwebend, als Zeichnung existierend.

Ohne Illusion. Ohne Drogen von Michaux und Wols. Ohne Extase. Alle mit der gleichen Intensität oder Nichtintensität. Ausgewogen als Nichtmuster auf Papier. Keines nähert sich dem anderen. Keines entfernt sich. 

Nach der Vorbesichtigung war gut ein Drittel der Arbeiten verkauft, erzählte mir S.