Samstag, 7. Januar 2012

Sehr, sehr böses Weihnachten, wirklich sehr böse...

So. Die Weihnachtsfeiertage sind vorbei. Wie war’s? Ganz o.k. Hab’ viel Fernsehgeschaut. Was soll man auch machen? Draußen ist nix los. Man hört nichts und man sieht nichts. Zum rausgehen hatte ich echt keine Lust.

N’ bisschen Sport im Fitnessstudio hab ich gemacht. Man kann sich ja nicht so komplett hängen lassen. Ich mein, so’n bisschen Sport muss schon sein, damit die Kiste am Laufen bleibt und man Nachts schlafen kann. Nix tun ist schließlich auch ganz schön anstrengend. Bin ja auch nicht mehr die Jüngste.

War’n auch n paar andere da, im Fitnessclub. So war ich nicht so ganz allein. Angucken tun die sich allerdings nicht. Beim Sport guckt man auch in den Fernseher. Das heißt man guckt in zehn Fernseher gleichzeitig. Besser man glotzt. Links Pippi Langstrumpf, rechts Lady Gaga, dazwischen HomeorderTV und News. Irgenwo ham se Kirchen in die Luft gejagt.

Eine, die neben mir strampelte, die hab ich von der Seite angeguckt, die hat nix gemerkt davon, dass ich sie angeguckt habe. Eine andere, die hat es sofort gemerkt. Da war’s mir dann fast peinlich, ihr so unvermittelt ins Gesicht geguckt zu haben. So von Stepper zu Stepper.

Alle stehen da drauf und hampeln vor den roten Anzeigen rum und glotzen. Ich auch. Ich hab nur kein Kabel in den Ohren stecken und hör, wie die Schnaufen und ich rieche auch diejenigen, die dann ihre Zigaretten mit dem Schweiss ausdünsten.

Es ist übrigens nichts passiert. Die war ganz klein, im roten T-Shirt, die, die ich angeguckt habe. Vielleicht hat sie’s deswegen gemerkt, weil sie so klein war. Da merkt man vielleicht schon mal was. Die hat sich nicht zu erkennen gegeben, dass sie mich gesehen hätte oder so. Sie hat ganz schnell wieder weggeguckt und weitertrainiert und auf die Fernseher geguckt. Die wollte es mir leicht machen. Die hätte sich ja auch beschweren können. Oder so.

Die anderen haben jedenfalls nichts mehr gemerkt. Ein Typ war da, junger Typ, Marke „Schlafender Biber“, n’Meter neunzig, der hat so fast-knielange, hellblaue Plastikhosen angehabt und der hockte im Zirkeltraining auf einem Gerät drauf, während ich die ganze Runde nach Vorschrift und im Rhythmus von Grünen und Roten Lichtern absolviert habe.

Der saß da auf seinem Gerät, in seinen Babyhosen, war verkabelt, d.h. er hatte Stöpsel in den Ohren und manchmal, da hat er sich unvermittelt bewegt und ansonsten saß der regungslos da. Schlafender Biber eben.

Den hab ich angeredet, als ich an sein Gerät kam, der hat nix mehr gehört und gemerkt und einfach so Löcher in die Luft gestiert. Ich weiß gar nicht, wo der eigentlich hingeguckt hat. Ich musste erst mit den Armen vor seinen Augen wedeln, das hat er dann gemerkt und mich verschlafen angeguckt, sagen wir, er hat mich ungefähr anvisiert. 

Ich hab ihm dann die ganze Sache mit dem Zirkeltraining erklärt, damit ich auch mal an das Gerät rankann – da sagt der zu mir, wüsste er schon, er müsse halt nur erst die erste Übung machen.

Wahnsinn. Der pennt doch voll, habe ich mir gedacht. Ich guck immer, was die anderen machen, und die kriegen gar nix mehr mit. Da hab ich nicht aufgegeben, sondern gesagt, o.k. könne er ja machen, also seine erste Übung, er solle mich nur schnell mal ranlassen, er könne ja dann weitermachen mit seiner ersten Übung.

Irgendwann im Laufe des Tages ist mir immer der Sprit ausgegangen, am ersten Weihnachtstag und am zweiten Weihnachtstag auch. Regelrecht ausgegangen bin ich und ich hab’ echt nichts mehr mit mir anfangen wollen.

Mir sind nur so Fetzen durch den Kopf. Was ich hätte können, sollen, wollen sollen, wollen müssen, hab gemeint, da hätte sich in mir irgenwie noch mehr regen müssen und gleichzeitig wollte ich nachgiebig sein, war ja schließlich Weihnachten und man kann ja nicht immerzu, was von sich verlangen.

Also, hab ich dann wenigstens die zwei Tage mal nix von mir verlangen wollen, zumindest der Teil von mir, der darüber nachgedacht hat. Der andere war natürlich schon der Meinung, ich hätte was machen müssen, damit es nicht so läuft, wie es dann gelaufen ist, also mit dem Fernseher und so.

War ja nicht so, als hätte mich das wirklich interessiert. Die Auswahl an Sedungen, die ich nicht sehen wollte, die war viel höher, als das, was dann irgendwie noch und zur Not gegangen ist.

Beim Fernsehen, da bin ich schon skeptisch und irgendwie brauch’ ich mittlerweile Fernsehen für Fortgeschrittene. Ich kann diese Weihnachtssoße nicht ertragen, diese weichgespülten Kugelblitze, die dann vermischt mit Softkerzenschein und wissend lächenlnden Sängern ABA Heidschi Bumbbeidschi in die ebenso weichgespülten Wohnzimmer gespült werden, wie neuerdings, wenn irgendwelche geklauten Gelder in Staatskassen gespült werden. Ich brauche nur das Wort gespült zu hören und schon wird mir schlecht.

Können hätte ich vielleicht schon. Ich meine was anderes als Fernsehen. Hatte schon so „Überwindungsphantasien“. Ein schlechtes Gewissen hatte ich auch. Wie kann man sich so hängen lassen? Aber der Fernseher war echt das nächste. Der war mir näher als alles andere und erträglicher.

Ich hätte echt total viel gemusst. Nen Brief ans Finanzamt hab ich fertiggemacht. Immerhin. Aber ich habe noch nicht mal müssen wollen.

Ich hatte keinen Bock auf gar nichts. Hab mir auch gedacht, dass es mit der Ruhe und dem Frieden so seine Zeit dauert. Da klotzt man total bis ein paar Zentimeter vor Weihnachten, bleibt dann unvermittelt stehen wie ein Nashorn und dann ist plötzlich Ruhe und da soll man es sich dann in der Stille bequem machen?

Ich sah mich schon imaginär auf einem Sessel sitzen und abwartend und so da sitzend und mit der Stille. Wartend. Sitzend. Stille. Was soll denn das sein? Bei mir ist keine Stille. Da ist immer irgendwein Band, das dann abläuft. Ein Tonband ist immer am lautesten. Das wollte ich dann aber auch nicht die ganze Zeit hören.

Von Mitmenschlichkeit kann dann auch nicht die Rede sein. Auf meinem Tonband, da bin immer ich die Hauptperson. Da ist sonst keiner. Da passiert immer alles mir. Da denke immer ich. Da geht es immer um mich und darum, was mir alles so fehlt. Was mir halt so abgeht. An Weihnachten denke ich halt ganz besonders an so was. Nie ist Ruhe und immer bleibt etwas zu wünschen übrig.

Da denke ich auch nicht an die anderen. Da hätt’ ich mich ja voll ablenken müssen, um an die anderen zu denken. Ich hab’s echt probiert, das mit dem „an die anderen denken“. Schließlich soll man doch auch an die anderen denken. Angeblich ist das total gut für einen selbst, wenn man an die anderen denkt. Viel besser, als wenn man immerzu an sich selbst denkt.

Mir ha’m soviele was gewünscht und geschenkt an meinem Geburtstag, der einen Tag vor Weihnachten ist, dass die es jetzt echt verdient hätten, dass ich ihnen was wünsch’ und was schenk’ und dass ich nicht so egoistisch bin, immer nur an mich zu denken und an meine Probleme. Ich hätt’ mich vor allem bei allen bedanken müssen. Aber das war mir einfach zuviel nach dem ganzen Vorweihnachtsstreß.

Also hab ich hauptsächlich an Probleme gedancht. An Probleme. Na, so Probleme, wie sie sich in diesem Jahr so ergeben haben. Oder wie sie eben immer schon da waren. So, was man halt so meint, was nicht stimmt. Teilweise kam es mir so vor, als wär da nix Neues dabei gewesen bei den Problemen. Und teilweise hab ich mir gedacht, dass die sich wie von selbst durchdenken. Da war ich manchmal schon richtig sauer. Ich hätt’ da wirklich was besseres mit meiner Zeit anfangen können.

Ich hab’ mich total unfähig gefühlt, Kontakt aufzunehmen. Ich hatte überhaupt keine Lust. Hätt ja zu den Nachbarn rübergehen können, die zwei Häuser weiterwohnen. Hab ich nicht gemacht.

Was hätte ich da auch sollen? Die sind ja eine ganze Familie. Ich bin nur eine verlassene Frau, die ihren Typen verlassen hat, als es ihr zu bunt wurde. Der widerum packt es nicht, verlassen worden zu sein und will jetzt die ganze Sache rumdrehen, damit er Oberwasser behält.

Machtspiele eben. Soviel hab ich in den letzten paar Tagen kapiert: Das meiste was so abläuft, zwischen Menschen meine ich, das sind Machtspiele. Da geht es nicht um Liebe. Bestenfalls sitzt die dann irgendwo drunter. Gut versteckt. So ein geheimer Antrieb, der sich dann in Machtspielen entlädt. Bestenfalls.

Schade, dass man dann die Machtspiele nicht einfach weglassen kann und einfach zur Liebe übergeht. Bei meinem Alten kann ich das nicht feststellen und bei mir? Na, was weiß denn ich?

Ich hab’ halt überhaupt keinen Bock nachzugeben. Diesmal nicht. Man kann doch nicht alles mit sich machen lassen? Oder doch?

Über sowas hab ich dann Weihnachten nachdenken müssen. Hab’ ja keine Ahnung, was man so von sich selber und von anderen erwarten kann. Hab’ sowieso keine Ahnung. Hab’ auch überlegt, ob der bekloppte Alte nicht doch besser ist, als gar keiner. Kann ich überhaupt nicht sagen.

Jedenfalls hat er mir die Weihnachtstage ganz schön verdorben. Irgendwie hat er sich in meinem Kopf echt aufgeplustert und breit gemacht und mich in den Schwitzkasten genommen. Ich hab echt nicht mehr gewusst, wer denn nun eigentlich recht hat. Hab mir immer eingebildet, ich wüsste, was er will und denkt und in welchem Film er mitspielt. Sicher sein kann man sich da allerdings nie.

Woher auch? Ich hab doch nur meinen Kopf und da spielen sich alle Rollen ab, die Fragen und die Antworten. Mein Alter, der wirkt allerdings ziemlich echt und ich bilde mir ein, dass sei wirklich er und nicht etwa ich.

Hab ihn doch fast sechs Jahre lang mitbekommen. Da weiß man doch wie einer tickt. Oder etwa nicht? Weiß nicht. Zwischendurch hab ich echt Zweifel bekommen und hätte mir gewünscht, es wäre Ruhe in meinem Kopf.

Gar nichts war: Im Gegenteil, ich hatte sogar das Gefühl, ich hätte auf ihn gewartet. Einmal bin ich vor dem Fernseher eingepennt und bin dann hochgeschossen, weil ich geträumt habe, der hätte mir eine riesiege weißte Tüte mit blau rotem Schriftzug vor die Tüt gestellt, so wie er das in den letzten Monaten schon mal gemacht hat. Das war so echt, dass ich fast rausgegangen wäre und nachgesehen hätte. So ein Echttraum.

Ich hab’ dann erst heute morgen nachgesehen. Da war natürlich nix. Keine Tüte. Und ehrlich gesagt: Ich weiß nicht was mir lieber ist. Das der mir nochmal die Welt erklärt oder das da nix mehr kommt.

So viel steht fest: Ihm lässt es auch keine Ruhe. Der zockt, frisst und säuft weiter. Vielleicht vögelt er auch ab und zu rum. Aber er sieht nicht so aus, als hätte er an jedem Finger zehn Tussen. Klar, die lieben ihn doch alle. Aber wer liebt ihn, wenn es drauf ankommt? Das will er doch gar nicht.

Das ganze Gedenke könnte jetzt stundenlang so weitergehen. Wie schon die letzten Jahre. Irgendwie hat es mich geärgert. Was tut der Typ noch in meinem Kopf?

Das Thema ist doch immer das gleiche, egal ob es um ihn geht oder um einen anderen: Alle ham’ se Dreck am Stecken und immer hab ich’s abgekriegt. So ist es doch. Immer wieder bin ich die Blöde, die es ausbadet, die leidet, die irgend ne Scheiße abgekriegt hat, die sich dann in Endlosschleifen immer wieder wiederholt.

Da kann man gar nix machen. Ich kann mir ja schließlich nicht den Kopf abhacken. Ohren zuhalten bringts auch nicht. Das kommt alles von innen und bestenfalls quillt es raus. Weit aufsperren muss man die Ohren, weit auf... damit es rauskommt, wie ein Eiterpickel. Echt.

Irgendwann muss doch mal Schluss sein. Ruhe ist nie. Frieden auch nich. Ich hätt’ was für den Frieden tun soll’n. Nicht so egoistisch sein und ständig über irgendwelche Typen nachdenken, oder von mir aus: über deeeen Typen.

Ne, ich hätt mich um Leute kümmern sollen, denen es nich so gut geht, wie mir. Das wär doch mal was. Immer dieses Gejammere über die eigenen Probleme. Da soll man sich mal um andere kümmern.

Hätt’ ich nen Garten, dann wär ich wahrscheinlich in den Garten gegangen. Es war ja nicht so kalt. Da hätt man gut rausgehen können. Spazierengehen wollt ich nicht. Das kommt mir immer so sinnlos vor. Ein bisschen wie Zeittotschlagen.

Da geht man dann so und geht und geht und fragt sich, was das soll. Und guckt dabei so auf den Boden, sieht die Füße, die einen Schritt vor den anderen machen, oder sieht die anderen, die in Familie, wie schwerfällige Kähne, den Spazierweg abschreiten. Dann das Gerede, von der guten Luft und so und davon, dass es doch gut war, mal den Fernseher auszuschalten um ein paar Meter ins Freie zu gehen, um sich die Beine zu vertreten.

Das Geräusch im feuchten Boden rollender Kinderwägen macht mich total depressiv. Das hat sowas Trauriges. Das ist oft das, was von der Liebe übrig bliebt und nun Familie heißt und Zwänge heißt und heißt, dass man an Feiertagen ja mal gemeinsam raus muss, sich die Beine vertreten und das Kind braucht ja auch frische Luft und so.

Und dann gehen alle miteinander Gassi bevor es wieder was zu essen gibt.

Oder die jungen dynamischen Freundespärchen, die sich über die bevorstehende Hochzeit im Mai unterhalten... Sie mit Pelzmützchen und er mit Barbourjacke, von mir aus auch geschmackvolles, helles Wildleder mit Lammfellfütterung. Die sind auch nicht viel besser. Die muss ich auch nicht haben.

Und spazierengehen wo keiner ist? Was soll ich denn da? Da kommt man sich ja vor, wie ein Einzelgänger. Ne. Das muss ich auch nicht haben. Dann schon lieber die mit den Kinderwägen.

Am besten find ich ja, wenn es so richtig kracht. Da krieg ich dann große Ohren. Das ist dann wie fernsehen. Da will ich dann wissen, was so los ist. Sie giftet und er giftet und das Titi sitzt im Wagen und kann gar nichts dafür. Nix als Stress, aber wenigstens ist was los und die Luft wird gereinigt.

Ja, das mit L. hat ziemlich genervt. Hab total viel an ihn gedacht. Ich konnte gar nicht anders, als ohne Ende an ihn zu denken. Ich kann schon gar nicht mehr sagen, was ich überhaupt gedacht habe. Das Denken schlägt dann in so ein Gefühl von durchgängiger Ungerechtigkeit um und in so ein Gefühl, das was fehlt.

Was soll man machen? An Weihnachten denkt man halt an sowas. Hat ja auch ordentlich weh getan. Echt. Wie die Sau. So weh hat das getan. Und nicht nur einen Tag oder zwei. Das kommt immer wieder. Volle Kanne und bei jeder Gelegenheit. Das wünsch’ ich keinem.

Und dann kommen die Oberschlauen daher mit ihrem „abhaken“, „in die Zukunft schauen“, „nicht mehr dran denken“. Man könnte meinen, jeder, der sowas von sich gibt, der hat einfach überhaupt keine Ahnung. Keine Ahnung wie weh das tut und keine Ahnung, was man in einem solchen Zustand überhaupt noch fertigbringt.

Daran gemessen, dass mir die ganze Sache wieder hochgekommen ist, war Weihnachten total o.k.

Ich hab geweint, als ich meine Geburtstagsgeschenke endlich aufgemacht habe. Ich habe sie erst am zweiten Weihnachtsfeiertag aufgemacht. Irgendwie hatte ich das Gefühl, ich müsse zuvor mein Zimmer aufräumen, die Geschenke unter meinem großen Blumenstrauß aufstellen und dann erst eine Kerze anzünden, die Geschenke so, wie sie sind, bunt und verpackt und mit lustigen Formen...

Erst mal ansehen, so lange es noch Geschenke sind, bunt und schön und mit Schleifen und bevor ich sie dann auspacke und es dann keine Geschenke mehr sind, sondern irgendwas, was dann drin ist und es dann aus ist, mit der Verheißung und mit der Hoffnung und einfach nur Realität wird.

So wie Weihnachten: Wochenlang lebt man darauf hin, mit Hoffnungen und mit Streß, macht sich viel Arbeit und bewältigt viel Arbeit und dann ist es soweit und es wird wirklich. Dann kommt die Gans auf den Tisch und muss gegessen werden. Von wem auch immer. Dann ist es soweit.

Da warten alle auf den Erlöser und was ist es dann? Ein ganz normales Baby im Stall. Ich weiß nicht, was die Leute denken würden, wenn Obdachlose am Bahnhof auch noch Kinder in die Welt setzen würden. Na ja, würden sie denken, das Kind kann ja nix dafür!